Wie der Weihnachtsmann zum hybriden Arbeiten kam
Die Personalchefin hatte die Stirn in tiefen Falten. „Was ist los?“ fragte der Weihnachtsmann. „Schon wieder haben zwei unserer Wichtel gekündigt. Sie wollten nicht mehr das ganze Jahr hier im Norden und in der Kälte arbeiten. Im Süden gäbe es tolle Jobs in der Auslieferung, die auch gut bezahlt sind.“
Der Weihnachtsmann seufzte. Es lief schon länger nicht mehr rund. Früher hatten alle zum Weihnachtsmann gewollt, vor Wichtel-Bewerbungen konnte man sich gar nicht retten. Doch seit ein paar Jahren merkte er eine deutliche Veränderung. Es gab immer weniger Bewerbungen und qualifizierte Wichtel waren schwer zu bekommen.
Die Veränderungen betrafen nicht nur die Auslieferung der Geschenke. Die Weihnachtsmann-Arbeit ist ja viel umfassender: Bereits im frühen Frühjahr präsentieren die Trend-Scouts ihre Erkenntnisse zu Wünschen und Neuheiten, das Portfolio der Überraschungsgeschenke und der Standardgeschenke wird festgelegt. Spätestens ab dem Sommer kommen dann die ersten Wunschzettel. Das Geschäft selbst war komplexer geworden, weil die Wünsche schon lange nicht mehr nur per Brief kamen, sondern als E-Mail, per WhatApp oder einfach über die Facebook-Seite. Da musste die Wünsche-Crew schon flexibel und immer am Puls der Zeit sein.
Die Covid-19-Pandemie hatte das Weihnachtsmann-Business schwer getroffen. Viele Wichtel waren wegen der Reisebeschränkungen nicht aus dem Urlaub zurückgekommen. Manche saßen wochenlang in Quarantäne fest, einzelne wurden auch selber krank. So war die Mannschaft erst einmal stark reduziert, als 2020 die Trends analysiert wurden und das Jahr vorzubereiten war. Und es wurde nicht besser: Lieferengpässe drohten, die Bedürfnisse der Beschenkten veränderten sich. Das Weihnachtsmann-Business geriet in eine echte Krise.
Zum ersten Mal brauchte der Weihnachtsmann Rat zu seinem Kerngeschäft. Zunächst suchte er Hilfe bei seinen Unternehmerkollegen, St. Nikolaus und Osterhase. Die konnten allerdings auch nur von den gleichen Problemen berichten, sie wussten auch nicht weiter. Dann dachte der Weihnachtsmann an Beratung – hier bekam er klassische Vorschläge wie Wichtel-Incentives, Investition in die Arbeitgebermarke bis hin zu flexibleren Arbeitszeitkonten. Der Weihnachtsmann war skeptisch. Als ihm dann auch noch McBostain vorschlug, er solle sein Geschäft einfach an Amababa verkaufen, wusste er, dass es etwas ganz anderes brauchte. Nur was?
Die Marketingabteilungen von MicroEx und Gotoom bombardierten ihn mit Angeboten zur Nutzung ihrer digitalen Plattformen. Nur konnte man Geschenke nicht digital einpacken. Aber vielleicht wäre ja vieles andere machbar? Er rief einen seiner früheren Wichtel an, der jetzt in Italien lebte. Der Weihnachtsmann fragte ihn, ob er seinen Job im Marketing und Wunschzettelmanagement wieder machen würde – von Italien aus? Gefragt getan, im nächsten Monat fing der Wichtel wieder beim Weihnachtsmann an. Marktforschung mit freier Zeiteinteilung, Windsurfen und Mountainbiken am Gardasee – quasi täglich. In der Wichtel-Community sprach sich das schnell herum.
Die Konsequenzen waren zwiespältig. Zwar konnte der Weihnachtsmann viele Wichtel für die Weihnachts-Arbeit zurückgewinnen, die nun überwiegend remote arbeiteten. Die im Norden Gebliebenen wurden nun jedoch unzufrieden. Viele wollten auch in den Süden oder wenigstens von zuhause arbeiten. Das war nur allzu verständlich – und er konnte nicht anders, als dem nachzugeben. Als der Weihnachtsmann aus seinem Winterurlaub 2021 zurückkehrte, glaubte er zuerst, alles wäre nun gelöst. Dank der Remote-Arbeitsmöglichkeiten, etwas Investition in Endgeräte und lokale Arbeitsplätze sowie fleißiger Arbeitsorganisation wäre sein Geschäft nun wieder stabil.
Aber der Schein trog. Es arbeiteten zu wenig Wichtel in Präsenz, so dass im uralten Kerngeschäft, der Geschenkeverpackung Ungemach drohte. Nachdem die meisten Wichtel bald geimpft sein würden, könnte er ja einfach die Pandemie für beendet erklären und alle wieder in den Norden holen. Nur würden nicht genügend Wichtel zum Nordpol kommen bzw. wieder viele kündigen.
Und im Marketing gab es Streit über die Trends für Weihnachten 2021. Gewiss, schon früher wurde leidenschaftlich diskutiert, welche Spielzeugtrends sich nun durchsetzen würden und wo die Schwerpunkte zu setzen seien. Aber Streit? Also musste er sich erst einmal um den Streit kümmern, doch er wurde nicht schlau daraus. Die einen sagten, die anderen würden sie nicht mehr verstehen und von falschen Trendannahmen ausgehen. Zwei Neu-Wichtel räumten freimütig ein, sie hätten eigentlich immer noch keine Ahnung, was eigentlich gemacht würde. Der Ober-Wichtel im Marketing war völlig kopflos und kurz vor dem Burn-Out. Er war Marketing-Experte und kam mit der ganzen Situation überhaupt nicht zurecht.
Nach einer beinahe schlaflosen Nacht, in der ihn Alpträume heimsuchten, dass er sein Geschäft doch an Amababa verkaufen würde, war dem Weihnachtsmann klar: Es brauchte nun etwas anderes. Mehr von früher, nur anders, und ganz Neues dazu. Also wie bei den Weihnachtsgeschenken auch manchmal. Er ließ sich von einem befreundeten Spielzeughersteller im Bayerischen Wald ein kleines Beratungsunternehmen empfehlen, das Ahnung hätte, was dem Weihnachtsmann-Business jetzt helfen würde.
Nach den ersten Gesprächen stellte sich heraus, dass alles nicht so schnell und einfach lösen ließ, wie der Weihnachtsmann gehofft hatte. Was die Berater ihm erzählten, klang erstmal etwas kompliziert, aber sie machten den Eindruck, als wüssten sie genau, was sie tun. „Hybrides Arbeitsmodell“ nannten sie ihr Rezept für sein Business. Die wichtigsten Zutaten: Zusammenarbeit, Spielregeln und Führungsqualität. Und eine vorübergehende Diät in Trend- und Geschäftsentwicklung.
Es ging gleich ziemlich zur Sache. Die Ober-Wichtel wurden in ihren Führungsfähigkeiten weiter geschult und gecoached. Einzelne wechselten auch in fachliche Spezialistenrollen, für ihre Aufgaben mussten neue Kandidaten gefunden werden. Am Schluss war deutlich, dass die Wichtel-Führungsarbeit anspruchsvoller und mehr geworden war. Effizienzgewinn bei Büroflächen, dafür mehr Führungsarbeit. Und Automatisierung in der Verpackung. Gut, dass der Weihnachtsmann keinen Controller hatte, mit dem er das allesdurchrechnen musste. Und selbst wenn, es hätte ohnehin keine Alternative gegeben.
Auch die Wichtelteams waren gefordert. Es wurde in Team-Building investiert, gemeinsame Präsenzzeiten wurden vereinbart und Spielregeln zu Kommunikation und Reaktionszeiten ausgehandelt. Es brauchte dafür mehr und kluge elektronische Unterstützung, da Zettelwirtschaft digital halt nun einmal nicht funktioniert. Eine Investition in die Zukunft.
Als besonders anspruchsvoll erwiesen sich Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Wichtel-Professionen. Marketing und Produktion mussten ihre Zusammenarbeit anders organisieren, sich zu Kreativ- und Planungsklausuren treffen und Problemlösungsmechanismen finden, die ad hoc funktionierten. „Klärung auf Zuruf“ klappte halt nicht mehr. Die Moderation von digitalen Meetings wollte auch gelernt sein, insbesondere dort, wo man nicht täglich zusammenarbeitet.
Dank dieser konsequenten Kur hat sich das Weihnachtsmann-Business wieder erholt und es gibt zum Glück auch 2022 wieder Weihnachtsgeschenke. Auch die Personalchefin konnte wieder lächeln – und auch sie hatte viel dazu gelernt. Selbstverständlich geht die Verbesserung des hybriden Weihnachts-Arbeitens im neuen Jahr weiter. Neue Wichtel an Bord holen und binden, die Weihnachts-Identität bewahren und weiterentwickeln, in Führungs- und Wichtelkultur investieren – attraktiv und wettbewerbsfähig als Arbeitgeber bleiben. Der Weihnachtsmann weiß, dass er seine Hausaufgaben machen muss. Denn die anderen werden ja auch immer besser im hybriden Arbeiten.